Der Zürcher Kantonsrat hat die Pistenverlängerungen am Flughafen Zürich abgesegnet. Rümlang will sich weiter wehren. Bild: Flughafen Zürich AG
01.09.2023 06:00
Rümlang will sich weiter gegen Pistenverlängerung wehren
Der Zürcher Kantonsrat hat letzten Montag knapp Ja gesagt zu den Pistenverlängerungen des Flughafens. Die Flughafen Zürich AG zeigt sich erfreut. Ganz anders sieht es bei der Gemeinde Rümlang aus. Sie will sich weiter dagegen wehren.
Flughafen/Rümlang. Die Fronten sind verhärtet. Dass es zu einer Volksabstimmung über die geplanten Pistenverlängerungen am Flughafen Zürich kommen wird, dürfte klar sein. Nach dem knappen Entscheid des Kantonsrates vom vergangenen Montag mit 87 Ja zu 83 Nein-Stimmen fühlen sich Befürworter wie Gegner bestätigt, erstere durch das Ja, die Gegner wegen des knappen Resultates.
Die Flughafen Zürich AG betont in ihrer Stellungnahme das Sicherheitsargument. «Die Pistenverlängerungen sind eine wichtige Massnahme, um die Sicherheitsmarge am Flughafen zu erhöhen und den Betrieb zu stabilisieren.» Die Verlängerungen seien im Bericht «Sicherheitsüberprüfung Flughafen Zürich» 2012 als wesentliche Sicherheitsmassnahme identifiziert und durch den Bund in den Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) aufgenommen worden. Bereits zugestimmt hatten dem Projekt die vorberatende Kommission des Kantonsparlaments (KEVU) und der Zürcher Regierungsrat.
Längere Pisten bedeuten gemäss der Flughafenbetreiberin längere Bremswege zur Vermeidung eines «Overrun», also eines Überschiessens der Piste. Zudem gebe es weniger Kreuzungspunkte am Boden und in der Luft. Dank eines stabileren Flugbetriebs mit besserer Einhaltung der vorgegebenen Betriebskonzepte komme es zu weniger Verspätungen. «Schliesslich reduzieren die Pistenverlängerungen insgesamt die Anzahl Fluglärm-Betroffener», so die Flughafen Zürich AG. Es gebe keine alternativen Massnahmen im Flugbetrieb, die dieselben Verbesserungen punkto Sicherheit und Reduktion von Verspätungen mit sich bringen. Mit den Pistenverlängerungen könnten keine zusätzlichen Flüge eingeplant werden, erklären die Flughafenverantwortlichen weiter. Das Projekt ändere nichts an den für den Flughafen geltenden Rahmenbedingungen, welche der Bund vorgibt.
Auch das Forum Zürich sowie die Zürcher Handelskammer zeigen sich erfreut über den Segen des Kantonsrates zum Projekt. «Die Pistenverlängerungen verbessern die betriebliche Stabilität und bringen mehr Pünktlichkeit und mehr Nachtruhe für alle», heisst es in der Stellungnahme des Forums. Ähnlich tönt es bei der Handelskammer: «Die Pünktlichkeit wird verbessert, weil der Betrieb des Flughafens weniger von Wetterlagen abhängt. Damit werden zudem weniger Flüge nach 23 Uhr nötig. Das bringt allen Anwohnerinnen und Anwohnern des Flughafens mehr Nachtruhe und senkt die Lärmbelastung.»
Widerstand aus Rümlang
Durch das knappe Resultat in ihrem Widerstand gegen die Pistenverlängerungen bestätigt sieht sich die Gemeinde Rümlang, die sich als besonders lärmbetroffene Gemeinde schon länger gegen das Projekt zur Wehr setzt. Der Gemeinderat prüfe nun die Möglichkeiten, schreibt er in einer Mitteilung. «Die Mehrheit für die Pistenverlängerung ist äusserst knapp erfolgt. Eine derart grosse Minderheit zu übergehen und ihr gratis und franko Lasten aufzwingen zu wollen, kann nicht angehen. Die leidtragende Bevölkerung in unmittelbarem Umfeld des Flughafens, welche nun noch mehr Lasten tragen soll, hat es verdient, endlich gehört zu werden», so die Rümlanger Exekutive. Sowohl der Kanton als auch die Flughafenbetreiberin behandle die Interessen der Bevölkerung rund um den Flughafen, als stünden diese im Ausverkauf. Dem sei aber nicht so. «Die Gemeinden und deren Bevölkerung um den Flughafen haben verbindliche Zusagen verdient.» Wie sich die Gemeinde gegen das Projekt wehren will, erläutert auf Anfrage Roland Niesper, im Gemeinderat unter anderem verantwortlich für den öffentlichen Verkehr inklusive Flughafen. Falls dies nicht schon von anderer Seite erfolge, werde man das Referendum ergreifen. Weiter wolle der Gemeinderat weiterhin seinen Standpunkt durch Medienarbeit kundtun. Wichtig seien der Gemeinde vor allem die bereits mehrfach kommunizierten Forderungen an den Flughafen: verbindlicher Betriebsschluss um 23 Uhr, verbindliche Plafonierung der Flugbewegungen auf 70 pro Stunde, angemessene Aufteilung des steuerlichen Nutzens der Flughafen Zürich AG auf die Flughafengemeinden. Dafür ziehe man auch den Weg der Volksinitiative in Erwägung.
Gestörte Nachtruhe
Was der Betrieb am Flughafen für die Rümlanger Bevölkerung konkret bedeutet, erklärt Niesper anschaulich. «Derzeit starten eines bis zu sechs Flugzeuge täglich nach 23 Uhr. Vergangenen Freitag gab es gar vier Starts in der Nachtsperre nach 23.30 Uhr. Die Zusicherungen des Flughafens können wir nicht ernst nehmen, wenn die Ruhezeiten schon jetzt nicht eingehalten werden.» Und das habe nichts mit den Pisten zu tun, sondern mit der überlasteten europäischen Flugüberwachung und dem eng getakteten Flugplan der zur deutschen Lufthansa-Gruppe gehörenden «Homecarriers» Swiss und Edelweiss, die für die meisten Flugbewegungen am Flughafen Zürich verantwortlich sind. «Die Verspätungen bauen sich tagsüber auf, die Swiss hat den Flugplan so konzipiert, dass er gar nicht pünktlich eingehalten werden kann», so Niesper. Jede Nacht warteten die Langstreckenflieger auf ein paar wenige Umsteigepassagiere. Die geringen, lärmabhängigen Start- und Landegebühren ab 23 Uhr und die kostenlose Nachtruhestörung der Bevölkerung um den Flughafen stehen laut Niesper den Kosten gegenüber, welche die Airlines für die Entschädigung und Unterbringung verspäteter Passagiere aufzuwenden hätten. Aus wirtschaftlicher Sicht werde damit klar, wie sich die Airline und der Flughafen entscheidet: «Die Kosten in Form von Emissionen trägt die Bevölkerung um den Flughafen, die Mehrerträge gehen an die Airlines und den Flughafen.»
Von 23 bis 23.30 Uhr kann die Swiss laut Niesper in Eigenregie über den Verspätungsabbau entscheiden, nach 23.30 Uhr braucht es die Zustimmung der Flughafen Zürich AG, die ebenfalls an der Gewinnmaximierung interessiert sei. «In Rümlang haben wir höchstens sechs Stunden Nachtruhe.» Der Lärm beginne bereits morgens um 5.35 Uhr, wenn die erste Turbine in Betrieb genommen werde, weil hier nicht nur die Starts und Landungen, sondern auch der Betriebslärm zu hören sei. Auch das Argument der leiseren Flugzeuge zerpflückt Roland Niesper in der Luft. «Die Swiss verfügt über keine solchen modernen Flugzeuge. «Nachts starten bei uns also die lauten Maschinen.»
Volk hat das letzte Wort
Auch der Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Zürich ist nicht erfreut über den Entscheid des Kantonsrates und nimmt diesen «mit Bedauern zur Kenntnis», wie er in seiner Stellungnahme schreibt. «Die Pistenausbauten führen zu einer wesentlichen Kapazitätssteigerung des Flughafens vor allem nachts», ist der Verband überzeugt. Einerseits steige die ausgewiesene Maximalkapazität des Ostkonzepts von 66 auf 70 Bewegungen pro Stunde.
Andererseits fielen künftig abends die regelmässigen Unterbrüche infolge Anflugkonzeptänderungen weg, welche den Betrieb bis heute bei Ostanflug auf weit unter die ausgewiesenen 66 Bewegungen limitiert habe. Der Schutzverband geht ebenfalls davon aus, dass es zu einer Volksabstimmung kommen wird.
Per Referendum das Stimmvolk das letzte Wort. Stimmt es den Pistenverlängerungen zu, kann die Flughafen Zürich AG das Plangenehmigungsgesuch beim Bund einreichen.
Bettina Sticher